Vollmond 5-24
Die Jungfrau und der Milchtopf SAGE aus dem Mondseeland U 24 VOLLMOND 5/2024 nfern der Ruine Wartenfels liegt das Gut der „Schoberers“. In dieser Gegend war es gebräuchlich, dass jene Familien, die Milch kaufen wollten, am Nachmittag ihre Milchtöpfe auf einen gro- ßen vorbereiteten Tisch im Bauernhaus stellten. Diese wurden dann von der Bäue- rin oder der Stallmagd mit Milch befüllt und wurden da- nach wieder abgeholt. Eines Tages bemerkte die Bäuerin auf diesem Tisch einen ihr unbekannten, wunderschönen Milchtopf. Am Boden befand sich statt des üblichen Kreu- zers ein goldenes, funkeln- des Geldstück. Schnell holte sie Mägde und Stallburschen herbei. Alle staunten über den wundersamen Milchtopf, aber keiner hatte gesehen von wem er stammen könnte. Ob- wohl alle angewiesen wur- den, genau zu schauen, von wem eben dieser Milchtopf abgeholt werden würde, ver- schwand der Milchtopf auf wundersame Weise. Tags da- rauf geschah genau dasselbe. Als der Bauer an diesem Abend heim kehrte, erzählte ihm seine Frau die merkwür- dige Geschichte. Der Scho- berer erzählte daraufhin, dass in den morschen Gemäuern der Ruine eine Jungfrau mit ihrem Gold hausen solle, wel- ches sie an den Mann bringen wolle um erlöst zu werden. „Morgen ist Fronleichnam. An diesem Tag kann man ihren Schatz finden, wenn man vor ihr ein Bannsprüch- lein sagt.“ Der Bauer und sein Sohn stiegen in der folgenden Nacht, gerüstet mit einem Traumbüchlein vom Pfarrer, auf Wartenfels hinauf. Die Richtung wurde ihnen durch am Boden liegende, blinken- de Goldstücke gewiesen. Im Burghof der verfallenen Rui- ne angekommen erblickten sie Kisten voller Gold und Silber. Inmitten der Schätze stand eine schöne, liebliche Jungfrau und hielt den Milch- topf in den Händen. Mit Ges- ten deutete sie den beiden lä- chelnd, sich etwas von ihrem Schatz zu nehmen. Der Sohn allerdings begann, bebend vor Angst, den Bannspruch vorzulesen. Der Schoberer wollte sich während dessen einen gewaltigen Goldklum- pen aus einer der Kisten neh- men, allerdings fing dieser an wie ein glühender Sonnenball zu glimmen und zu lodern. Da ertönte plötzlich aus den Wipfeln aller Bäume leises Wehklagen und bitteres Wei- nen. Die Jungfrau löste sich vor den Augen der Männer in durchsichtige Nebelschlei- er auf und auch das Gold schien lautlos im Waldboden zu versinken. Vater und Sohn stürzten davon. Am Heim- weg suchten sie noch nach Goldstücken, fanden aber nur mehr einige Eisenplättchen. Auch der schöne Milchtopf mit dem Goldstück tauchte im Schobererhof seit jener Nacht nie mehr auf. Sage aus dem Buch: Goldbrünnlein und Drachen- wand. Illustrationen Heilgard Maria Bertel, Herausgeber, Verleger Prof. MMag. DDr. Bernhard Balthasar Iglhauser, Verkauf: im Gemeindeamt Thalgau
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